Gerhard Tersteegen (1697-1769)
Gerhard Tersteegen  (1697-1769)

Tersteegen Briefe lesen und (mit)teilen

So wie wir materielle Güter teilen können, läßt sich dies auch mit geistlichen „Perlen“, wie es die Briefe Tersteegens sind, machen. Den Anstoß dazu finden wir in einem Brief Tersteegen`s im  5.Teil, Brief Nr. 59, der unten zitiert wird (Bädeker, Essen 1836).

Der erbauliche Briefwechsel von Gerhard Tersteegen ist umfangreich und vielschichtig, was die Themen angeht.  Deshalb werden auf dieser Seite immer wieder neue Beispiele zu finden sein.

Diese Beispiele können wie „Perlen“, die den Reichtum der Liebe Gottes zeigen, weitergegeben werden. Möge der Leser immer das finden, was seine Seele erbaut, tröstet oder stärkt.

 

Brief Nr. 59 /Teil V

 

"In unserm gesegneten Heilande Jesus sehr werter und herzlich geliebter Bruder!

Deinen Brief habe ich richtig erhalten und mich daraus sehr erquickt. Ich bin seitdem so beschäftigt gewesen, daß ich erst heute dazu kommen konnte, Dir mit der Feder zu antworten, was ich indessen oft im Geist getan habe. Sehr dankbar bin ich dem Herrn, dessen gütige Hand es so geordnet hat, daß wir einander nicht bloß in dieser fremden Welt getroffen haben, sondern der uns auch noch so viel besondere Vereinigung in dem Geiste gegeben hat. Die Gemeinschaft der Heiligen (ach, daß ich der Geringste von ihnen wäre!) ist ein Geheimnis der Gottseligkeit und ein größerer Schatz, als man gewöhnlich denkt und glaubt. Es ist eine Gemeinschaft in Jesu Christo, als dem Haupte, aus dessen Fülle jedes Glied nach seinem Maße Gnade über Gnade durch den Glauben empfängt, und diese durch die Adern der herzlichen Liebe und Vereinigung in die andern Glieder wieder ausgießt zur Verherrlichung ihres Ursprungs. Wer am innigsten und beständigsten in Jesu bleibt, wird am meisten empfangen, und durch die Liebe teilen wir das Gute, was Andere empfangen, so wie wir auch durch die Liebe Anderen das mitteilen, was uns gegeben wird. Hier sind alle Güter gemeinschaftlich; das Eigene ist ausgeschlossen, und wer das Erhaltene sich allein zueignet, der verliert sicher was er hat, und verschließt sein Herz für jede neue Gabe. Je entfernter das Eigene bleibt, desto mehr empfängt man und desto reichlicher wird man überfließen. Welch festhaltendes Wesen haben wir nicht von Natur! Aber die göttliche Liebe bestreitet diese Eigenliebe und rottet sie immer mehr aus. Sie macht uns ohne Kunst und Künstelei zu einem Herz und einer Seele mit allen Kindern Gottes. Der Herr Jesus hat so zu sagen die Glieder seines menschliches Körpers voneinander reißen lassen, um die seines geistigen Körpers zu vereinigen, damit sie alle eins sein möchten, wie er und der Vater eins sind. Herr, wann werden wir die ganze Erfüllung dieses deines göttlichen Gebetes sehen! Doch die Gemeinschaft der Heiligen ist nicht allein eine Gemeinschaft des Geistes, weil sie aus dem Geiste der Liebe Jesu Christi fließt, sondern auch, weil man sehr gesammelt im Geiste vor dem Herrn leben muß, wenn man ihr köstlichen Früchte schmecken will.
Man fällt oft mit Herz und Sinnen auf verschiedene Art und Weise zu sehr auf das Äußerliche, man gibt dem Verstande zu viel und dem Herzen zu wenig. Daher kommt es, daß man nicht für jeden gleichmäßig die Ebbe und Flut der Liebe und Vereinigung empfindet. Wenn die Seelen nur alle Umwege vermeiden und nach ihren Kräften dem Einen, das Not tut, mit Ernst und aufrichtig nachstreben, nämlich, sich selbst abzusterben und dem Herrn durch Geist und Gnade zu leben, -  gleich schmelzen die Herzen zusammen.  Es ist wahr, man findet heutzutage  unter der Menge der Berufenen wenige solcher Herzenskinder, aber umso viel inniger muß auch die gegenseite Liebe in dem Herrn bei denen sein, die einander mit solchen Herzen begegnen, und wäre es auch nur aus der Ferne".   (es folgen noch wenige Sätze des Trostes wegen der körperlichen Beschwerden des Adressaten)

"Ich grüße und umarme Dich herzlich im Geiste der Liebe. Der Herr sei innig mit Deinem Geiste! Ich bleibe Dein treu verbundener Bruder". G. Tersteegen.

 

 

Teil II Nr. 147


Daß wir uns über unsere Triftigkeit, Trägheit, Selbstgefälligkeit und eigenes Elend erheben müssen durch das süße Herzensgebet und kindlichen Wandel in der Gegenwart Gottes

Lieber Bruder,
mein Gedächtnis will mir’s so nicht mehr vorstellen, was ich jüngst von dem Sinken in deine Natur und von dem Erheben über dieselbe gesagt haben mag. Zerbrich dir auch den Kopf nicht darüber. Beim treuen Fortgang, nach der gegenwärtigen Anweisung der Gnade, wird alle Wahrheit am deutlichsten aufgeschlossen, so viel es nötig ist.
Nachdem wir durch den Fall von Gott gesunken sind (uns entfernt haben), liegen wir in unserem natürlichen, verderbten Sinn, Ohnmacht und Unglauben gefangen; woraus uns Jesus, hochgepriesen in Ewigkeit, erlöset hat, und durch seine Gnade erheben will, um uns von natürlichen, wieder zu geist- und göttlichen Menschen zu machen. Ehe es mit uns dahin kommt, und nachdem wir schon den Weg betreten haben, klebet uns von der Natur und vom Unglauben noch vieles an, und wir gehen in vielen Dingen gar leicht nach der Natur und nicht nach dem Geist und Glauben zu Werk, wenn wir schon eben keine bösen, sondern wohl gut scheinende Dinge tun. Je nachdem wir, im natürlichen Sinn, Lust oder Unlust zu einem geistlichen oder natürlichen Werk haben, danach tun oder lassen wir’s; achten jenes möglich, dieses unmöglich, folgen entweder einer natürlichen Triftigkeit (Notwendigkeit) oder einer schändlichen Trägheit; da wir doch nichts beäugen sollten, als Gott zu vergnügen, und allen Willen Gottes (Eph. 6,6) von Herzen zu tun, ohne Ansehen der Natur, ob sie es gern oder ungern täte. Und gleichwie in diesem Teil viel erweckte Gemüter alle ihre Dinge den Tag über nur so natürlich tun, also geht man auch in vielen andern Dingen nach dem Trieb seiner Affecten zu Werk: im Eifern wider das Böse; in Gefälligkeit der Menschen, im Lieben und Hassen, Loben und Schelten etc. Insgemein folgen wir unseren ersten Gedanken und erstem Triebe; selbigen ist aber selten zu trauen, solange Jesus nicht völlig unser Leben geworden ist. Überhaupt ist kein besseres Mittel, über die Natur erhaben zu bleiben, als das süße Herzensgebet und kindlich, ehrerbietiges Erinnern der Gegenwart Gottes. Leben wir also im Geist, so werden wir auch im Geist wandeln (Gal.5).
Noch mehr: Alles ungläubige Ansehen unserer selbst, unseres Elends, Schwachheiten und Unwürdigkeiten ist alles ein Sinken in unsere Natur, und manche gutmeinenden Gemüter lassen sich lebenslang also durch den Geist der Furcht gefangen halten. Es ist zwar Gnade, wenn wir unser Elend sehen; wir müssen es sehen und fühlen. Unser Verderben muß uns sehr mißfallen, weil es Gott mißfällt; wir müssen innigst wünschen, davon erlöst zu werden. Alleine wir sollten weder durch eine eigenliebige Störung, noch durch eine kleinmütige Ungläubigkeit und Verzagtheit dabei stehen bleiben, sondern unser Gesicht kindlich davon ab und auf Jesum richten, mit einem stillen Vertrauen, daß er uns könne, wolle und werde von allem erlösen, aus freier Gnade, und uns heilig und herrlich machen. Ich sage aus freier Gnade; denn unser Glaube und Vertrauen muss sich weder gründen und nähren, noch schwächen lassen durch ein Zurücksehen auf uns selbst und unsere Beschaffenheit. Das ist sonst alles ein Sinken in unsere Natur. Wir sind zu aller Zeit unwürdig und abscheulich, und nimmer sind wir’s mehr, als wenn wir Gefallen an uns selbst haben. Wir sollen derhalben immer klein, aber nimmer kleinmütig sein. Uns selbst sollen wir dran- und hingeben, Gott aber allein ansehen, Ihn erwählend als den einzigen Vorwurf (Absicht ) unserer Liebe und unseres Vertrauens, in dem süßen Namen Jesu, und alles, was uns fehlt, mit langmütigem, aber kindlichem Vertrauen von Seiner Gnade erwarten, ohne uns vorsätzlich von Ihm zu entfernen. Also leben wir dann immer im Geist, und durch den Glauben des Sohnes Gottes, der uns geliebet hat.
Ich schreibe viel mehr, als ich wollte, und noch vielleicht confus, wegen meines schwachen Hauptes.
Gott segne Deine Seele!
Mülheim, den 15. Jan. 1739
0521

 

 

 

Teil V, Nr. 51  .... in der Heiligen Schrift ist alles zu finden - Gott ist Geist....

Lieber Freund!

Mit dieser guten Gelegenheit kann ich nicht unterlassen, Dich durch einige Worte zu begrüßen und Dir zu sagen, daß mir Dein liebevoller Brief sehr angenehm war. Es ist alles nach der Wahrheit, was Dir der Herr durch seine Gnade von dem inneren Weg in der Schrift vergönnt zu begreifen. Dieses göttliche Buch ist voll von dieser verborgenen Weisheit; Jeder sieht seinen Inhalt an, je nachdem sein Augen sind; es enthält Milch für Kinder und nahrhafte Speise für Erwachsene; es erteilt Jedem die Lehren, die ihm nach seinem Stande dienen, für Dich, lieber Freund, und für mich. Es unterrichtet uns auf allen Seiten in dem Einen, das allein Not tut, nämlich: mit Herz und Sinnen aus allen Zerstreuungen zurückzukehren in uns selbst, und zum Herrn in uns, zur wahren Heiligung und Seligmachung unserer Seelen. Gott ist ein Geist; sollen wir mit ihm in Wahrheit vereinigt werden und ihm auf die Art dienen, die ihm gebührt, dann müssen wir uns ihm da nähern, wo er ist, nämlich im Geiste; wir müssen trachten, ihm einigermaßen ähnlich zu werden, das heißt: wir müssen geistig werden. Da dieses  nun nicht anders geschehen kann, als durch gründliche Verleugnung und gänzliches Loslassen von Allem, was irdisch, fleischlich, sinnlich und bildlich ist; so lasse es dann, bester Freund, unsere große und einzige Übung sein, uns durch des Herrn Gnade zu entwöhnen von diesem Allen und von allem Eigenen, und einzugehen in eine ganz abgeschiedene, einfältige und innige Gemütsstimmung, aufmerkend und erwartend des Herrn Gnade und Gegenwart im Grunde unseres Herzens. Ich sage unseres Herzens und nicht in unsern Sinnen oder unserem Kopfe, um damit anzudeuten, wie sehr wir uns hüten müssen, nicht bei dem schönsten Lichte, was uns Gott vom Inwendigen gibt, stehen zu bleiben, oder uns zu viel darauf einzubilden; sondern uns wie unerfahrene, einfältige Kindlein immer mehr nach ihm zu wenden und in ihm zu bleiben durch Glauben und innige Liebe, wie Dir die Erfahrung wird gelehrt haben und Dich noch belehrt.
Ich will hiermit abbrechen, Dich von Herzen dem Herrn vortragend und ihn bittend, sein Werk in Dir fortzusetzen und zu vollbringen.
Ich empfehle auch mich Deinen andächtigen Gebeten, der ich nach herzlichem Gruß bleibe

Dein Dich liebender Freund und Bruder
 

 

Teil V Nr. 1, die fortwährende Übung - der kürzeste Weg  

Das innere Leben, oder die fortwährende Übung des Wendens nach Gott in unserem Herzen, ist der Kern des wahren Christentums und der kürzeste Weg zu Gott. Wie man dazu gelangt. Die heilige Schrift ist für diejenigen, denen die Augen geöffnet sind, voll von diesem Wege.

Geliebter Bruder!
Deinen lieben Brief habe ich wohl erhalten. Es erquickte mich sehr, von zwei, mir bisher unbekannten Freunden zu gleicher Zeit Schreiben zu bekommen, in denen ich einige Ausdrücke von der Wahrheit fand, nach der mein ganzes Herz, durch Gottes Gnade, trachtet, nämlich: von dem schönen Weg des inneren Lebens, bestehend in einem liebenden Einkehren und verborgenen Bleiben in dem Geist unsers Gemüts, um darin die göttliche Majestät im dunkeln Heiligtum zu beschauen und im Geist der Wahrheit anzubeten. Diese innere Übung ist gewiß die Seele des wahren Christentums, und die Quelle aller Heiligkeit und Tugend, so wie auch der kurze, gebahnte und einzige Weg zu einem gründlichen und festen Frieden unseres Geistes; indem er uns zu Gott führt, und mit Gott, der das höchste Gut, das wahre Vaterland und die einzige Ruhestätte unseres ewigen Geistes ist, vereinigt. Im Grunde unserer Seele, in der stillen Ewigkeit ist das unermessliche Land der Freiheit zu finden, zu welchem der edelste Teil unseres Wesens gehört. Aber freilich kann niemand wahrhaft dahin gelangen durch menschliche Mittel und eigene Anstrengungen, die unsern Geist nur umdüstern (verdunkeln) und in die Enge treiben, und ihn immer mehr von Gott und seiner heiligen Gegenwart entfernen. Die Erfahrung wird dich ohne Zweifel belehren, dass nichts heilsamer ist, als unsere eigenen Anstrengungen aufzugeben; der Wirkung Gottes Raum zu lassen und uns ruhig zu verhalten, zumal in den Stunden unserer inneren Betrachtung. Denn stören wir durch eigenen Schaffen das Schaffen Gottes, so verhindert auch unser eigenen Leben gänzlich das Leben Gottes.
Niemand kann innerlich in Gott leben, der noch äußerlich an den Sinnen hängt, und sein Leben in Etwas außer Gott sucht, weil dies ganz entgegen gesetzte Stimmungen sind. Darum müssen wir trachten, unsere Sinne eingezogen, unsere Begierden ertötet, unsere Gedanken innig, unsere Gemütsaufregungen oder Leidenschaften unterdrückt, unseren Willen gelassen, unsern Verstand einfältig und unsere Absichten bei Allem recht zu erhalten. Indessen müssen wir bei dieser, wie bei jeder andern Übung, nicht auf uns oder unser Handeln achten, sondern allein auf Gott und sein Wohlgefallen. Alles was wir tun und leiden, darf nicht gezwungen geschehen, sondern freiwillig, mit Freuden, aus Liebe zu unserem Seelenfreunde, der uns so nahe ist, und mit inniger Hingebung zu ihm. Zwar wird es nicht an äußerem und innerem Kreuz auf diesem Wege fehlen; aber Alles wird zum Guten mitwirken. Und wie herrlich muß nicht das Leben sein, aus so vielen Ertötungen geboren. Eine Viertelstunde dieses Lebens ist gewiss  mehr wert, als ein ganzes Jahrhundert voll weltlicher Genüsse.
 Mein Lieber Bruder, Gott schenke Dir und mir feste Treue an die unschätzbare Gnade, durch die er uns auf diesen Weg geführt hat, auf dass wir uns nicht kümmern um alles Geschrei außer uns: Hier ist Christus, da ist Christus! - Nicht Christus  hier oder Christus da, sonder Christus in uns ist die Hoffnung der Herrlichkeit: so hätte es nach dem Grundtext müssen übersetzt werden (Kol. 1,27). Dies allein hilft und tröstet in Not und Tod. Denen, die auf diesem Wege trachten, mit Gott und der Ewigkeit vertraut zu werden, wird die Ewigkeit nicht so fremd und bang auf ihrem Totenbette vor Augen stehen.
Ich schreibe dieses, werter Bruder, nicht, um Dich zu belehren, sondern um meine Übereinstimmung mit Deinem Briefe zu bezeugen, und meine Herzensmeinung auszusprechen. Die Bibel ist voll dieses Weges, wenn man nur Augen zum Sehen hat. Viele heilige Männer ( und Frauen) haben es auch bezeugt, deren Schriften, wenn sie gut gebraucht werden, großen Nutzen stiften könnten. Der Herr sei selbst unser beständiger Führer und Hirte! Amen. In ihm und seiner Liebe grüße ich Dich von Herzen, und bleibe durch die Gnade

Dein Bundes-Bruder

 

Teil 3 Nr. 101 ..wundere Dich nicht lieber Bruder, dass Du Dich noch so entfernt von Gott und seinem Ziel                                             erkennst...

Kaum wollen es meine Umstände auch heute zulassen, daß ich dein Angenehmes Schreiben vom 29.ten mit ein paar Zeilen beantworte.
Mit Mitleiden vernehme deine noch anhaltende Leibesschwachheit und Leiden; sehe ich aber die heilige und liebenswürdige Absicht Gottes darunter an, dann muss ich alles mit stiller Anbetung unterschreiben. Das tue auch Deine Seele, lieber Bruder, und gehe nur mit geschlossenen Augen ein in diese Absichten Gottes über Dir, welche nicht anders als gut sein können (Röm.8,28 u. 29). Ja, sie sind so groß und vortrefflich, daß ein bißchen vorübergehendes Leiden wenig dagegen zu achten ist.  Ich sage, Deine Seele, d. i. dein innerer von Gott geschenkter Wille soll unterschreiben, denn es liegt wenig daran, wenn gleich im äußeren oder unteren Teil allerhand Widerstrebungen gefühlet werden. Auch dieses Gefühl gehört zum Leiden eines Christen, wodurch die Seele unvermerkt gedemütigt, arm und klein gemacht wird, unter allem widrigen Gefühl sich heimlich in die so nahe Gnade und Kraft ihres Erlösers ersenket, oder doch danach hungernd und darauf gelassen wartend, endlich von der Gnade völliger durchdrungen wird, und den Sieg erhält durch den, der sie von Innen belebet.

Dieses jetzt genannte Ersenken, Hungern, Warten etc. ist das eigentliche Werk des Glaubens, dem sich Gott endlich gewiß zur Überwindung schenket. Unterscheide also nur besser den inneren Menschen von dem Äußeren, und wandle mit Gott getrost fort! Die Natur wird ja wohl nie leiden wollen; sie muß sterben. Weg mit aller falschen Zärtlichkeit. Weil unsere Zeit kurz ist, so müssen wir geradezu wandeln, der Natur entgegen.

Wundere Dich nicht lieber Bruder, daß Du Dich noch so entfernt von Gott und seinem Ziel erkennst. wir sind weiter vom Ziel verirrt gewesen, als wir wußten.  Eben der Herr unser Gott ist es, der uns dieses sehen läßt, und ohne unser Wissen uns dergestalt immer näher führet. O ja, er ist uns unausprechlich nahe. Er sorgt wunderbar für uns! Er hat Dich und mich so viel Jahre bei unzähligen Weigerungen, gesuchet, und endlich uns selbst auch suchend gemacht, dass es wohl Schande ist, sich noch zu beklagen, wie du in dem Briefe tust, daß Dir Gott noch so unbekannt, unerachtet du ihn schon so lange gesucht habest. Gott ist es, wie ich sage, der uns suchen macht. Gott vergnügt sich in unserem Suchen. Wer Gott gefunden, der hat einen solchen Schatz gefunden, welchen tausend Jahre gesucht zu haben, einem nicht zu viel noch zu lange dünken wird. Nur redlich fortgefahren, und nicht so bald ermüdet! Man sucht durchgehends Gott lange, ohne ihn zu finden, und unvermutet läßt er sich finden ohne Suchen .

Das Singen des Abends mit deinem Bruder rate ich an, eben nicht abzubrechen, sondern unmaßgeblich erst ein wenig aus dem Neuen Testament oder einem andern Buche zu lesen, sodann ein Liedchen singen um sich danach alsbald zurückzuziehen, um in keine zerstreuenden Diskussionen zu geraten .
Seid alle von uns herzlich gegrüßt....

Mühlheim, den 8. Aug. 1748
 

Druckversion | Sitemap
© Impressum