Gerhard Tersteegen (1697-1769)
Gerhard Tersteegen  (1697-1769)

über die notwendigen Bedigungen zur Erkenntnis der heiligen Schrift zu finden:

v. Gerhard Tersteegen  aus Weg der Wahrheit“. (verkürzte Widergabe)

 

 

Der Autor beschreibt hier fünf wesentliche und hilfreiche Punkte, um zu einem fruchtbaren Umgang mit der Heiligen Schrift zu finden.

 

Zur rechten Einsicht der Heiligen Schrift wie auch Gottes und aller göttlichen Wahrheit erfordert es zunächst ein Zweifaches:

 

Von Gott  - dessen gnädige Erleuchtung

Von uns  -  die erforderliche Beschaffenheit des Gemüts

 

Es ist Unverstand, durch die Wirksamkeit des Verstandes die Erkenntnis Gottes und seiner Wahrheit zu suchen. Es kann sich weder ein Blinder noch ein Sehender durch Kopfzerbrechen und Studieren das natürliche Licht oder eine zulängliche Erkenntnis vom natürlichen Licht zuwege bringen, wie viel weniger vom  „göttlichen Licht“.

Der Verstand, Wissen anhäufend und daraus vorgefertigte Bilder formend füllt den Kopf mit Vorstellungen. Buntbemalte Gläser hindern das Licht. Wir können nicht sehen ohne Licht; auch nicht ohne geöffnete und zum Licht gekehrte Augen! Der natürliche Mensch, so er von Gott abgewendet lebt, ist noch blind. In Eph.5,8 heißt es: „ Wir sind in der Finsternis und die Finsternis selbst“.

Also bedarf der Mensch des Lichtes zu innerem Wachstum. Wie die Pflanze verkümmert der innere Mensch ebenfalls ohne Licht.

Es gilt die Augen der Seele zu öffnen und Gott erleuchtet diese Augen zunehmend mit seiner Wahrheit, auf dass wir sehen die Wunder in seinem Gesetz (Ps. 119,18).

G. Tersteegen sagt, diese gnädige Erleuchtung erfordert nun auch eine gewisse Beschaffenheit des Gemütes, anders ausgedrückt, eine Einstellung die die Seele durchlässig werden lässt für die Worte und den Sinn in der Schrift.

Erleuchtung und Durchlässigkeit geschehen nicht auf einmal, sondern stufenweise, allmählich, nach der Beschaffenheit oder Fähigkeit der Seelen.

Ebenso versteht man alle Botschaften der Schrift nicht auf einmal, sondern nach dem Maß der Gnade und der Erleuchtung. Dies geschieht ohne Würdigkeit, ohne Verdienst, als Frucht des Verdienstes Christi. “Das Licht scheint in die Finsternis….“(Joh. 1,5)

 

Was sind nun die Erfahrungen, die die Augen der Seele klarer erkennen lassen?

 

  1. Demütiges Beten macht den Anfang! Was ist ein demütiges Gebet?
    Z.B. das  Vaterunser. Innige Hinwendung und Hingabe, Verlassen eigener Vorurteile, Begriffe von Gott, Einsinken in Gottes Gegenwart *, wie ein armes, nichts wissendes Kind, Herz und Verstand IHM bloß dargelegt mit dem herzlichen Verlangen, dass er sie mit seinem heiligen Geist erleuchten wolle. Sein Geist möge Sinn und Kraft der gelesenen oder gehörten Worte ins Herz eindrücken, glaubend, dass es geschieht, soviel zur eigenen Besserung und Gottes Verherrlichung nötig ist, mit dem Willen Gott gerne zu folgen „ Herr was willst Du, dass ich tun soll “(Apg. 9,6).

     
  2. Die treue Ausübung dessen, was man schon versteht als wahr erkannt hat.
    So jemand will des Willen tun, der mich gesandt hat, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei“(Joh. 7,17). Die Ausübung und Erfahrung dessen, was die Schrift sagt ist die beste Erklärung. Wer das menschliche Elend nicht erkannt hat und den Eigensinn in seinem Herzen, der sieht es nimmer in der Schrift. Dagegen –
    Wer Buße tut, der erkennt immer mehr die Buße;
    Wer sich selbst verleugnet, erkennt immer mehr die Selbstverleugnung,
    wer betet, glaubt und liebt, der lernt beten, glauben und lieben
     immer tiefer, wie die Schrift es lehrt und meint.

    Erst muss man`s schmecken und dann sehen, wie bitter die Sünde und wie freundlich der Herr sei (Ps. 34,9). Die Treue an dieser Wahrheit macht dann fähig mehr andere Wahrheiten zu erkennen.
    Das aufgehende Licht aber verflüchtigt sich durch Rückkehr zur Zerstreuung, falschen Trost und eitlen Weltsinn. Diese Untreue führt zu Rückschritt, zu blindem Wahn. Die Einbildung entsteht Gott zu lieben, weil man ein vorübergehendes Lichtlein erblickt hat, von der Welt und Eigensinn aber nicht lassen will. „Das Kindlein bleibt bei der Milch und will feste Nahrung nicht zu sich nehmen“. Wahrhaftig sein entsteht, wenn Erkanntes im Glauben gelebt wird.
  3. Die stete Übung in der Verleugnung seiner selbst.
    Die Erkenntnisse Gottes, Lehre und Predigten wird keiner verstehen, als der Entwöhnte von der Milch, der von den Brüsten abgesetzt ist (Jes. 28,9).
    Durch die gründliche Selbstverleugnung wird das Herz gereinigt und gestillt.
    Gereinigt vom Unflat der Welt, der Sünden und unzähligen Verdorbenheiten und Eigenheiten, welche dem armen Gemüt wie Kot und Leim vor den Augen sitzen und die Einsichten in Gottes Geheimnisse verhindern.
    Ein ungestorbener Mensch ist ein blinder Mensch. Und wüsste er die Schrift von Anfang bis Ende, wäre es doch ein versiegeltes Buch
    (Weish.    1,4/5) .
    Gestillt wird das Herz durch Selbstverleugnung. In einem ungestorbenen Gemüt finden sich noch mancherlei Lüste des Fleisches und der Sinne, verschiedene Gemütsbewegungen (Zorn, Stolz usw.) und Reizungen, wie auch Eigenwille und Selbstliebe. Diese verursachen tausenderlei Verwirrung, Aufregung, Angst und Unruhe.
    In solchem Schmutzwasser des Gemütes können göttliche Klarheit und Wahrheit nicht gefunden werden. Von der Betrübnis des Gemüts zum stillen, klaren Wasser der Seele führt die Selbstverleugnung.
    Ps. 46,11 „ Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin.“

 

  1. Die Sammlung und Andacht des Herzens zu Gott, oder zu seiner
    Gegenwart in uns
    Wenn wir uns zum Herrn kehren, dann wird die Decke weggenommen von unseren Augen (2.Kor. 3,16).Ursachen:
    durch eigenes Bemühen können wir Gottes Licht weder in uns bringen noch vermehren – aber wohl verhindern und aufhalten. Deshalb sollen Gemütsaugen und Andacht von allen anderen Dingen abgewendet werden. In demütiger Gelassenheit werden sie frei und offen zum Lichte Gottes hingewendet, die Gnade Gottes erwartend. So entsteht Bereitschaft göttliche Erleuchtung zu erfahren, nach seinem Maße und wieviel wir fassen mögen. Kann man ein Buch recht verstehen, wenn man nicht versucht in die Gemütsbeschaffenheit und den Sinn dessen einzugehen, der es geschrieben hat? Wer also die Worte der Heiligen Schrift recht zu verstehen verlangt, trachte nach Offenheit für die gute Absicht Gottes mit jedem Menschen.
  2. Leiden – das liebe Kreuz von außen und innen.“Anfechtung lehrt aufs Wort merken“ (Jes. 28/14). Solange der Mensch in seinem unachtsamen, ungebrochenen Sinn ruhig dahingeht, hat er wohl wenig Lust, den Rat Gottes zu seiner Seligkeit aus seinem Wort zu vernehmen. Sobald er aber angegriffen wird durch Widerwärtigkeit, Armut, Krankheit oder andere Trübsale, besinnt er sich zurück. Er besinnt sich auf´s Gebet, sucht die Bibel hervor, geht fleißiger zum Gottesdienst usw. Kreuz und Trübsal zeigen erste Wirkungen, die aber manchmal auch zur Heuchelei führen. Dagegen wird es ernster, wenn man bei anfänglicher Buße durch Gottes Gnade in schmerzliche Gefühle seiner Sünden, seines Elendes und großer Seelengefahr (Angst um das eigene Seelenheil) gesetzt wird. Da lernt man dann auch die Bibel mit mehr Begierde und Andacht behandeln. Man sieht sie mit anderem Auge, das Wort beginnt in einem zu leben und schmeckt.
    So bringt uns die innere Not zum rechten Licht. Ein Irrtum wäre es sich damit zu begnügen. Das Lernen an SEINER Hand bleibt nicht ohne Proben, Versuchungen, Dunkelheiten, Ängsten und Leiden von mancher Seite, woraus erst das reinste Licht und die tiefste Einsicht in die heilige Schrift von Grad zu Grad geboren,wird. .“Ein Frommer der noch nicht versucht ist, versteht wenig“(Jes.Sirach 34, 40/12). Nach der Probe aber lernt man mit dem lieben Hiob die Hand auf den Mund legen und bekennt sein Elend und seine Blindheit (Hiob 39/37,38).
    Das ist einmal gewiss: so oft eine gläubige Seele in einer Kreuzesprobe wohl ausgehalten hat, so oft bekommt sie eine reinere und gründlichere Erkenntnis Gottes, ihrer selbst und aller Wahrheit, auch in der Heiligen Schrift, sodass es einem hernach noch wohl lieb ist mit David, dass einen Gott also gedemütigt hat, damit man seine Rechte lerne (Ps. 119,71).

 

Dieses erfuhr und bekannte von sich selbst der Gelehrte Andreas River nach ausgestandenen schweren Leibes- und Seelennöten auf seinem Sterbebette, wenn er zu Gott also sprach: „ Du bist der Lehrer der Geister. Ich habe mehr von der Theologie gelernt in diesen zehn Tagen, da du mich besucht hast, als ich vorher in 50 Jahren getan habe. Du hast gemacht, dass ich eingegangen bin in mich selbst. Ich war nicht in mir; ich war in der Welt. Nun bin ich in der Schule meines Gottes, der lehrt mich auf eine ganz andere Weise, als es die Doktoren getan haben, die nachzulesen ich so viele Zeit angewendet habe. Wie viel Eitelkeit ist nicht in all dem, das von dem Geist des Menschen herkommt!“ –

„Ach, warum macht man sich solche aufrichtigen Zeugnisse nicht beizeiten zunutze?“(G.T.)

 

Unter allen gottseligen Übungen ist keine allgemeiner, einfältiger und nützlicher als die in der Gegenwart Gottes zu leben -  sie besteht darin:

 

Dass wir einfältig glauben, dass Gott überall und auch in unserem Herzen gegenwärtig sei;
dass er zu dem Ende bei uns und in uns gegenwärtig sei, damit wir ihn daselbst anbeten, lieben und ihm dienen sollen, gleich wie er sich uns daselbst gerne mitteilen und seine Lust in uns haben will; dass wir uns demnach dieser Wahrheit  des Glaubens öfters auf eine herzliche Weise erinnern und uns als bei Gott, vor Gott und in seiner Gegenwart ansehen; dass wir uns auf eine liebreiche und stumme Weise mit Gott unterreden in unserem Herzen und uns mit ihm gemeinsam machen als mit unserm liebsten und besten Freunde, und zwar zu aller Zeit und bei allem, was uns inwendig und auswendig vorkommt, es sei Gutes oder Böses;
dass wir wahrnehmen und beantworten die Liebeszüge und Lockungen Gottes in unserem Innwendigen, wodurch er uns freundlich erinnern, stillen, sammeln und mit sich vereinigen will;
und endlich, dass wir nach einer jeglichen Zerstreuung oder Untreue mit demütigem Vertrauen alsbald zu unserer Übung wiederkehren wie ein Kind zu seinem lieben Vater. (s.a. von Bruder Lorenz „ Allzeit in Gottes Gegenwart“)

 

Bruder Lorenz hat gelebt wie es bei im Brief des Johannes ausgedrückt ist:

 

1.Joh. 3/18:Meine Kinder, wir wollen nicht mir Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit. Daran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind, und werden unser Herz in Seiner Gegenwart beruhigen“.

 

 

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