Gerhard Tersteegen (1697-1769)
Gerhard Tersteegen  (1697-1769)

Gerhard Tersteegen hat die Weite und Tiefe seines Wirkens nur erreichen können, weil er über die Konfessionsgrenzen hinaus gesehen hat. Sein großes Anliegen sah er nicht in der Änderung von Liturgie und Symbolen, Gebräuchen und Übungen. Der Weg des einzelnen Menschen zur Reinigung, Heiligung und Vereinigung mit Gott in der Christusnachfolge, und damit zum Werk der Nächstenliebe, durchzog alle Ebenen seines Wirkens.
Um sich ihm und dem Wesen seiner geistlichen Seelsorge und seiner inspirierten Verkündigung zu nähern, ist es gut, daher ebenfalls auf Bewertungen seiner persönlichen Lebensart und Äußerlichkeiten zu verzichten. Das wäre sicher sein Wunsch gewesen, dass man ihn „allein nach den Früchten erkennt, die die Gnade Gottes wachsen ließ“.
 
Tersteegen war sehr zurückhaltend, wenn es z. B. darum ging, sich ein Beispiel an seinem asketischen und entschiedenen Lebensstil zu nehmen. Grundsätzlich ging es ihm immer darum zur Nachfolge  Jesu anzuleiten, und das immer unter dem Leitspruch: Glaube, Hoffnung, Liebe – die Liebe aber ist das Höchste.
Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, sich mit Titeln zu schmücken. Selbst die Anrede als Seelsorger löste bei ihm Widerspruch aus, obwohl das besonders auf ihn zutraf.

Auch außerhalb Europas fand Gerhard Tersteegen viele Freunde und bis heute finden sich immer wieder neue Veröffentlichungen seiner Werke. Darin finden sich eine Reihe von verkürzten Bezeichnungen, die erkennen lassen, dass er zusammengefasst zu Recht den Ruf des „Arbeiter der Wahrheit des inwendigen Christentums“ genießt.

Bekannt wurde er als „Schöpfer überkonfessionell bekannter Erbauungslieder“, als niederrheinischer Erweckungsprediger, als bedeutender Mystiker des Protestantismus und Wegweiser der Erfahrungstheologie, sowie als Vorkämpfer des kontemplativen Lebens (Giovanna della Croce).
Karl Barth sagte einmal: „ Tersteegen ist und bleibt einer der größten, die wir haben, als Prophet der Konzentration im Leben und Denken, der Innerlichkeit der Seele und ihrer Erlösung“.

Die vollständige Lebensbeschreibung des Gerhard Tersteegen  ist im 3.Band seiner Briefe abgedruckt.
Nachdruck bei Christlichen Schriftenversand,
www.christlicher-schriftenversand.de

Kurzfassung einer Lebensbeschreibung:
https://www.deutsche-biographie.de/sfz82318.html#adbcontent_autor

 

 

 

aus dem Vorwort zur Einweihungsfeier  für ein Denkmal zur Erinnerung an
Gerhard Tersteegen, in Mülheim am  6. 4. 1838 (aus Bädeker, Essen 1842)

Gedenke der vorigen Zeit bis daher, und betrachte, was Er getan hat an den Vätern (5.Mos. 32,7)

"Zu den vielen Erweckungsmitteln, welche die heilige Schrift empfiehlt und gebietet, die Gnade Gottes zu ergreifen und darin zu wandeln, gehört dies: Die Erinnerung an die Zeiten der Väter. Glücklich das Land und das Volk, das in seiner Geschichte außerordentliche Denkmale der göttlichen Gnade aufzuweisen hat, und sie treu benutzt! Eine heilige Pflicht ist es darum auch, sie der Vergessenheit zu entreißen, damit sie fortwirken mögen von Geschlecht zu Geschlecht in ihrer erweckenden und erbaulichen Kraft.
Diese Wahrheiten leiteten zu der Aufstellung des Denkmals des sel. Gerhard Tersteegen, von dessen Wesen und Wandel die vorliegenden festlichen Reden bei Enthüllung des Denkmals mehr zeugen werden".

Einleitungsworte über das Leben Gerhard Tersteegen' s von Pfr. Schulz - leicht gekürzt.

"Ein seltenes, eigentümliches Fest, Geliebte! hat uns heute hier zahlreich im Gotteshause versammelt. Wir wollen nämlich einweihen das Grabmal eines vor  69 Jahren in unserer Gemeine selig entschlafenen und an diesem Tage zu seiner letzten Ruhestätte gebrachten Mannes, der wenigstens dem Namen nach uns allen bekannt sein mag und dem jeder für das Höhere nicht ganz Unempfängliche, der nur Etwas von dessen Leben und Wirken weiß, seine Hochschätzung nicht wird versagen können; - eines Mannes, mit dem aber auch manche unter uns in geistiger Gemeinschaft und Bekanntschaft stehen, und den sie dankbar liebend in ihrem Herzen tragen; - eines Gottesmannes, der in unserer Mitte eine Reihe von Jahren zum Segen für viele, durch Wort und Wandel, die Tugenden dessen verkündigte, der uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes!
Dieser Mann ist Gerhard Tersteegen!

 

1697 in Mörs geboren, trat er, wohl unterrichtet und selbst in den toten Sprachen nicht unerfahren, 14 Jahre alt, in unserem Mühlheim, bei einem Kaufmann in die Lehre. Hier wurde er in seinem 16.  Jahre von der Gnade ergriffen und gründlich erweckt, und übergab sich ganz dem Herrn, ohne den mindesten Vorbehalt. Nach vollendeten Lehrjahren widmete er sich dem Seidebandweben,  lebte still, einfach und unbemerkt seinem Gotte und teilte seinen Erwerb, und sein geringes Vermögen mit den Armen. Unter mancherlei äußeren Leiden übte er sich im gläubigen Vertrauen auf Gott. Dabei aber geriet er auch in große innere Leiden und Dunkelheiten und verlor ganz den empfindlichen Geschmack der göttlichen Gnade. Dieser Zustand währte 5 Jahrelang, wo ihm dann das Licht wieder aufging und Freude seinem Herzen und er in einer gründlichen Überzeugung von der versöhnenden Gnade Jesu Christi, eine bleibende Ruhe der Seele fand. Nun, im Jahre 1725 verschrieb er sich seinem Heiland zum ewigen Eigentum. Täglich arbeitete der 10 Stunden an seinem Handwerk, übersetzte Abends erbauliche Bücher und verwandte 2 Stunden aufs einsame Gebet.  1727 fing er an in Privatversammlungen zu reden, die in Mülheim zuerst der Prediger Undereick, nachheriger Pfarrer in Bremen, der Verfasster des 81sten Liedes, eingeführt hat, wodurch bald viele Leute erweckt, und Erweckte weiter gefördert wurden. Sein Wirkungskreis vergrößerte sich immer mehr, und weit und breit kam eine beträchtliche Menge solcher, die in geistlichen Angelegenheiten, bei ihm Rat suchten, zu ihm. Auch reiste er öfters nach Holland und ins Bergische, wo ebenfalls viele Menschen durch ihn erweckt und erbaut wurden. Hier, in Mülheim selbst, nahmen die Erweckungen täglich zu und das Gefilde von Totengebeine (Anspielung auf Hesekiel,  37  in - die Macht der Liebe Christi aus" Weg der Wahrheit"), begann immer mehr zu rauschen, so daß er außerordentlich viel zu tun bekam. Eine rechte Gnaden- und Segenszeit für unsere Gemeine. Er redete in größeren und kleineren Kreisen, sorgte liebreich für Arme und Kranke, besuchte die benachbarten Orte, schrieb sehr viele lehrreiche und erbauliche Briefe an Vornehme und Geringe, in der Nähe und Ferne, und verfertigte eine Menge sich weitverbreitender, geistreicher, trefflicher Lieder und Schriften. Trotz seiner Kränklichkeit, war er bis in den März 1769 tätig. Nach einer ihn dann befallenden, schmerzlichen und beschwerlichen Krankheit, in welcher er voll Geduld, Liebe und  Demut war, entschlummerte er sanft den 3. April zu seines Herrn Freude! Den Umstehenden aber war es zu Mute, wie wenn sie eine Menge Engel um sich hätten, die seine Seele mit Freuden aufnähmen und in das ewige Reich der Wonne und Herrlichkeit einführen.

Fragt ihr mich mehr nach seinem inneren Leben und der eigentümlichen Richtung seines Geistes, so möchte ich euch hier kurz, gern auf Folgendes aufmerksam machen. Er war ein Mann, der eine Einsicht in das göttliche Wort und eine reiche Herzenserfahrung besaß. In seiner Erkenntnis, die nach jener fünfjährigen Finsternis, an sich, dieselbe, nämlich die echt evangelische, biblisch blieb, wurde er immer gegründeter und gesalbter. Du Gott hast uns nach dir geschaffen und unser Herz ist ruhelos, bis es in dir ruht. Dieses große Wort Augustin' s ist gleichsam als das Zentrum seines ganzen  Lebens, Wirkens und Betrachtens anzusehen und Jesum Christum, wie er uns von Gott gemacht ist zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung erkannte und verkündigte er bis zum letzten Atemzuge seines Mundes, aus eigener, lebendiger Herzenserfahrung nach der Schrift, als den einzigen Weg zu jener Ruhe, die ihm, wie allen erleuchteten Christen, nichts anderes war, als das verborgene Leben mit Christo in Gott - Gemeinschaft mit Gott  - der Wandel in der göttlichen Gegenwart - Friede - Leben - Seligkeit! Den Christus in uns, trieb er nicht in falsch mystischer Weise ohne den Christus für uns, die Heiligung nicht ohne deren Grund, die Rechtfertigung durch den Glauben, über welche Haupt- und Kernlehre des ganzen Evangeliums er sich namentlich in dem "Weg der Wahrheit" so gründlich und rechtsinnig erklärt hat, wie er denn auch noch kurz vor seinem Tode, das schöne, evangelische Bekenntnis ablegte: "mein getreuer Heiland Jesus Christus hat mich verderbten, irregehenden Menschen und verdammungswürdigen Sünder mit seinem teuren Blute mildiglich versöhnt, mich von meiner Selbst und aller geschaffenen Nichtigkeit, Elend und Unvermögen lebendig überzeugt, das Werk der Heiligung in mir angefangen und mich bei meiner großen Untreue und Trägheit mit bewunderungswürdiger Langmut und Güte getragen und bis hierher in seiner Gnade bewahrt. Ihm sei die Ehre in Ewigkeit!"

Obschon sein Herz eine vorwiegende Neigung zur Stille und Abgeschiedenheit hatte, so gab er sich doch selbst in eigener Entsagung liebevoll ganz dem Heile Anderer hin. An keine Sekte sich anschließend , zeigte er sich in evangelischer Geistesfreiheit, wahrhaft unparteiisch gegen andere Religionsverwandte, suchte alle in dem Wesentlichen des Christentums zu vereinigen. Er  eiferte, Nebenmeinungen stehen lassend, nur für das Eine, was Not tut und hielt es mit der großen in den verschiedenen Kirchengemeinschaften zerstreuten Partei derer, welche Jesus Christus als ihren Herrn und Gott und ihren Erlöser durch sein Blut annehmen und nach dem geschriebenen Worte Gottes und nach der Zucht der Gnade zu leben sich ernstlich befleißigen, weshalb er auch unter allen christlichen Konfessionen seine Verehrer und Freunde hat.
Er wies allein nur auf Jesus Christus hin, auf Jesu Versöhnung, Jesu Wort, Jesu Geist, Jesu Vorbild. als einige gläubige Freunde ihn einst an seinem Geburtstage besuchten, sprach er zu Ihnen." Freunde, wenn ich heute sterben sollte, dann hätte ich nur 3 Worte zu guter Letzt zu sagen:
 1. Setzt euer ganzes Vertrauen auf die Gnade Gottes in Christo Jesu.  2. Liebt euch untereinander.  3. Wachet und betet".
hrten.

 

Mit kindlichem Vertrauen und völliger Hingebung überließ er sich der Leitung Gottes und das stete lebendige Gefühl seiner Nähe und Gegenwart war sein beständiger Begleiter. Stillen, heiteren Gemütes und sanftem, lieblichen, zierlichen Wesens,  lockte er unzählige durch geistliche und leibliche Wohltaten, durch sein ausgezeichnete Gabe mit Seelen umzugehen, an sich. Wahrhaft geistesarm wandelte er demütig und verträglich; trug mit großer Geduld die Gefallenen, mit stiller Sanftmut seine Widersacher. Seine Gaben im mündlichen und schriftlichen Vortrag der christlichen Lehre, in der geistlichen Dichtkunst, sind ausgezeichnet zu nennen. Am liebsten war es ihm, wenn er mit einzelnen reden konnte. Kam er mit Weltleuten zusammen, so hielt er sich meistens still, suchte aber, sobald sich ihm eine Gelegenheit dazu darbot, bei ihnen etwas Erbauliches anzubringen. Es ist nicht war, daß er die Leute von der Kirche vom Abendmahl und von dem Ehestand zurückhielt. Fern davon, andern einen Strick anzulegen und ihrem Gewissen etwas aufzubürden, was Gottes Wort nicht befahl, oder was gar dagegen gewesen wäre, ließ er vielmehr einem jeden die Freiheit so zu tun, wie er es vor Gott am besten fand. In seinen Schriften herrscht überall die größte Liebe zu Gott durch Jesum Christum und zu dem Nächsten. Nichts ist einfältiger, natürlicher, holdseliger und überzeugender als seine Art, auch schriftlich, die Seelen zu trösten und zurechtzuweisen. Alles ist in seinen Büchern voll edler, geistreicher Gedanken. Seine Lieder, von denen einige in das neue evangelische Gesangbuch aufgenommen sind, zeichnen sich durch Tiefe und Innigkeit der Empfindung und größtenteils auch durch die poetische Form auf' s vorteilhafteste aus und setzen ihn mit Recht in die Reihe unserer besten geistlichen Liederdichter.
Das fromme Töchterlein des seligen Grafen Zinsendorf, eines Zeitgenossen Tersteegen' s,  hatte eine besondere Vorliebe für dessen Lied " Gott ist gegenwärtig", - sang es oft mit seinem Vater und empfand dabei so lebhaft die Nähe des Herrn, daß das Kind einmal zu seiner Mutter, als es diese Lied wieder gesungen, sagte:" ich bin bei dem Heiland und dem Vater gewesen".

Der ebenso gelehrte, als fromme Professor Schubert, unser Zeitgenosse, lernte das Blumengärtlein, worin die Lieder Tersteegen' s sich befinden, auf der Insel Rügen kennen, und gewann dieses Büchlein so lieb, daß er es überall mit sich herumtrug. Er erzählt:  das Lied," Jesu meines Lebens Licht, nun ist die Nacht vergangen", - war mein Morgenlied, das Danklied  nach dem Essen, "Danke dem Herrn, o Seele, dem Ursprung der Güter", sang ich nach  Mittag im Angesicht des Meeres, und mit den Vögeln des Waldes, und das Abendlied: "Der Abend kommt, die Sonne sich bedecket", war meine Erquickung am Abend.
Der würdige Bunsen, ein Freund Schuberts, jetziger Preußischer Gesandte in Rom, nennt den Tersteegen: eine stille, gottbegeisterte Seele, deren Gesänge vom himmlischen, seligen Leben rein wiederklingen, weil ihre Erkenntnis voll kindlicher Demut blieb, - nennt ihn: den ersten Meister des geistlichen Gesanges und den tiefsten Andachtsschriftsteller seiner Zeit.

Sehet Geliebte, ein solcher Mann, in kurzen Zügen geschildert, war der selige Tersteegen. Ihm haben wir nun ein Grabmal gesetzt. Wenn tapferen Helden, verdienten Staatsmänner, ausgezeichneten Künstlern, Denkmäler errichtet werden, wie viel mehr gebührt dann wohl einem solchen Mann, wie der selige Tersteegen war, der für das Höchste gekämpft, um das Reich Gottes sich  also verdient gemacht und die Gabe der Dichtkunst im Dienste des Heiligen nur, so schön gebracht hat, - ein einfaches Grabmal! Was hat der liebe Mann in seiner Zeit, wo ein starres, totes Buchstaben-Christentum weit verbreitet war, gewirkt und was wirkt er noch jetzt für das wahre inwendige und lebendige Christentum in der Nähe und Ferne, bei Kindern und Erwachsenen, bis zu den Grenzen Russlands und über das Meer hinaus, wo man seine Schriften und Lieder kennt und liest. Welchen Segen stiftete er namentlich in unserer Mülheimer Gemeine, wo das Herzenschristentum, das sich noch heute unter uns findet, größtenteils die Frucht seiner Aussaat ist und wo noch immer so viele Seelen durch seine Schriften in ihrem inneren Leben gefördert und gestärkt, getröstet und erquickt werden, und so der Selige geistig in unserer Mitte fortlebt! Darum liebten und verehrten ihn auch von jeher Prediger dieser Gemeine und sein Zeitgenosse, der Pfarrer, der den schönen Beinamen, "der Fromme" trägt,  bat ihn noch kurz vor seinem Ende um seinen priesterlichen Segen und dichtete nachher auf seinen Tod ein so schönes Trauerlied mit 45 Versen  (Pfr.  Konrad Engels,  1810 b. Eyrich, Elberfeld gedruckt)".
 

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